„Der demokratische Gedanke kann nur wirksam und fruchtbar werden, wenn nicht nur ein Recht der Mitarbeit, sondern die Fähigkeit zur Mitarbeit vorhanden ist. Die Entwicklung dieser Fähigkeiten kann nicht mehr dem Zufall überlassen werden“
Hugo Sinzheimer
Mit diesen Worten warb Hugo Sinzheimer, Vordenker und Initiator, im Sommer 1920 mit Nachdruck für die Einrichtung einer „Akademie der Arbeit“ in Frankfurt am Main. Nicht mal ein Jahr später, am 2. Mai 1921, war es soweit: Nach zwischenzeitlich zähem Ringen um Finanzierung und genauer Ausgestaltung konnte die „AdA” feierlich eröffnet werden. Auf die rund 70 Teilnehmer*innen des ersten Jahrgangs wartet eine Bildungsinstitution ganz neuer Art, welche gewerkschaftliche Berufsexpertise mit einem höheren Anspruch auf freie und allgemeine Bildung verbinden sollte. Oberstes Ziel der Lehre war demnach die „[s]ystematische Schulung des selbständigen Denkens […] und die Zurückdrängung voreiliger Werturteile vor der klaren Erkenntnis der Zusammenhänge“. In der jungen Weimarer Republik sollte die AdA damit nicht zuletzt einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen und betrieblichen Demokratisierung leisten.
Die gewerkschaftliche Akademie war der Goethe–Universität zwar institutionell angegliedert und hatte zunächst auch ihre Räumlichkeiten in deren Hauptgebäude, konnte jedoch weitgehend unabhängig agieren. Im Curriculum standen hauptsächlich Wirtschafts- und Gesellschaftslehre sowie Rechts- und Staatswesen. Darüber hinaus stand es den Teilnehmer*innen frei, sämtliche Vorlesungen der Universität zu besuchen. Neben dem erwähnten Hugo Sinzheimer lehrten in der Weimarer Zeit an der Akademie eine Vielzahl herausragender Persönlichkeiten, u.a. der Soziologe Franz Oppenheimer aber auch Ernst Fraenkel und Franz Neumann, spätere Begründer der deutschen Politikwissenschaft.
Spätestens mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten Anfang 1933 stand auch die AdA zunehmend mit dem Rücken zur Wand. Am 31. März, kurz vor der endgültigen Zerschlagung der Gewerkschaften, vollzog sich die gewaltsame Schließung durch SS und SA. Als am Morgen dieses Tages die Hakenkreuzfahne über dem Universitätsgebäude gehisst wurde, verließen Dozenten und Hörer*innen geschlossen das Gebäude. In Folge des nationalsozialistischen Terrors waren nicht wenige wichtige Akteure der AdA, insbesondere jene jüdischer Herkunft zu Flucht und Emigration gezwungen. Auch unter den aus politischen Gründen Verfolgten befanden sich zahlreiche ehemalige Schüler*innen und Dozenten. Keineswegs zufällig beteiligten sich nicht Wenige aus diesem Kreis an frühen antifaschistischen Widerstandsakten.
Unter personell, räumlich und finanziell äußerst widrigen Bedingungen gelang nach 14 Jahren, im April 1947 die Neugründung. Dabei verfolgte die AdA kurzzeitig eine notgedrungen pragmatische Ausrichtung, verschrieb sich jedoch schnell wieder dem breiten Bildungsauftrag von vor 1933. Mit der Überführung in eine Stiftung bürgerlichen Rechts konnte die Akademie 1951 auf ein finanziell und organisatorisch tragfähigeres Fundament gestellt werde. Im Mai 1957 schließlich bezog die AdA ihr eigenes Gebäude am Rande des Campus Bockenheim, in dem die Teilnehmer*innen nicht nur lernten, sondern fortan schliefen, aßen und lebten. Mehr als 60 Jahre später, nach „bewegten“ Zeiten sowie zahlreichen kleineren und größeren Krisen und Kurskorrekturen, absolvieren noch immer jedes Jahr rund 40 Teilnehmer*innen den Lehrgang der AdA, seit 2009 unter dem Namen „Europäische Akademie der Arbeit“. Mittlerweile befindet sich die Akademie nicht mehr in der Mertonstraße, sondern im 2019 eröffneten „House of Labour“ im Frankfurter Westend.
Die Räume, die die AdA mit ihrem Umzug verließ, blieben allerdings nicht lange verweist: Zusammen mit vielen anderen Projekten und neuen Bewohner*innen wurde das Haus mit unserer ada_kantine 2020 (vorerst auf Zeit) zu neuem Leben erweckt. Nicht zufällig teilt die „neue“ mit der „alten“ AdA ihren Namen: Bewusst möchten wir uns ein Stück der Geschichte dieses Hauses und der Gründungsideale der Akademie in neuer, ganz eigener Form aneignen. Während die Akademie der Arbeit nun also auf 100 Jahre Geschichte zurückschaut, feiern auch wir bald unseren ersten Geburtstag. 1920 beendete Hugo Sinzheimer seine Denkschrift zur entstehenden AdA mit folgendem Satz: „Allen Zweiflern rufen wir zu: »Die Arbeiter-Akademie muß kommen, deswegen wird sie kommen!«“. Wir rufen zurück: „Die ada_kantine muss bleiben, deswegen wird sie bleiben!“.
Herzlichen Glückwunsch!
Einweihung des neuen Gebäudes der Akademie (Mai 1957). Zu sehen sind Professor Manfred Rajevski, Hans Gottfurcht als Repräsentant des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften, die Ministerpräsidenten Hessens und Nordrhein-Westfalens, Georg August Zinn und Fritz Steinhoff sowie der DGB-Vorsitzende Willi Richter.
Bildquelle: Allespach / Gröbel (2021) „100 Jahre Akademie der Arbeit“, S. 189
Teilnehmer eines Lehrgangs. Bildquelle: Allespach / Gröbel (2021) „100 Jahre Akademie der Arbeit“, S. 120
2. MAI 1921 (Stadtarchiv Frankfurt, Jahr 1921)
Feierliche Eröffnung der Akademie der Arbeit unter der Leitung des Soziologen Dr. Eugen Rosenstock-Huessy (1888-1973) im Senckenbergischen Festsaal. Ansprache halten Oberbürgermeister Georg Voigt (1866-1927), Kultusminister Dr. Carl Heinrich Becker (1876-1933), der Rektor der Universität Frankfurt, Geheimrat Prof. Arthur Moritz Schönflies (1853-1928), und der Leiter der Anstalt, Dr. Rosenstock-Huessy. Darüber hinaus wird eine Sammlung von Darstellungen aus der Geschichte der Arbeit ausgestellt.
Studierenden des 5. Lehrgangs am Fenster der AdA, Mai 1951.
Bildquelle: Allespach / Gröbel (2021) „100 Jahre Akademie der Arbeit“
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